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Politische Rhetorik: Die Rede macht mobil

Die Rede ist ein ehrwürdiges Instrument der Demokratie. Robert Habeck zeigt, wie man Menschen im Netz mit Worten bewegt. Dass auch digitale Rhetorik auf dem Handwerk Redenschreiben beruht, gehört zur Erzählung dazu.

Einmal mehr hat Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck dieser Tage mit einer Ansprache für Furore gesorgt. Was der Grünen-Politiker in kalkulierter Bescheidenheit „ein paar Gedanken zur Einordnung und Differenzierung“ zum Terrorangriff der Hamas auf Israel nennt, ist eine Lektion in staatsmännischer Redekunst.

Medien und selbst politische Gegner überschlagen sich vor Lob und Anerkennung für Habecks glasklare, eindringliche Worte. Von einer „Rede ins Gewissen“ (Rheinische Post) ist da zu lesen, von der sich „jede Gruppe und jedes Milieu angesprochen fühlen darf“ (FAZ), von „einer auf den Punkt gebrachten Geschichtsstunde“ (Tagesspiegel) und einem „emotionalen Geländer, an dem sich die Menschen festhalten können“ (STERN).

Hochkant im Businesskanal

Ja, Argumentation, Tonlage und Vehemenz der Botschaft sind bestechend. Interessant ist aber noch etwas anderes. Nämlich der Umstand, dass Habecks Videoclip (wie schon der zweieinhalb Wochen zuvor) ganz selbstverständlich als eine „Rede“ wahrgenommen und als solche auch in den medialen Kosmos weitergetragen, analysiert und eifrig kommentiert wird. Und das, obwohl Habeck sich nicht etwa vom Redepult des Parlaments an die Bürgerinnen und Bürger wendet, sondern aus seinem Büro im schmalen Hochkantformat zu uns spricht.

Der Vizekanzler ist ein Erneuerer von Konventionen der Regierungs-Kommunikation. Das wurde schon mit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine deutlich, als Habeck sich gefühlt im Wochentakt mit Erklärvideos zu geo- und energiepolitischen Notwendigkeiten zu Wort meldete. Die Lageberichte fanden bei vielen Menschen in Deutschland Anklang. Mitten in einer bedrohlichen Krise erlebten sie plötzlich, wie ein prominentes Regierungsmitglied sich ihnen ganz unverblümt und ohne die üblichen Stanzen mitteilte. Eine neue, ungewohnte Güteklasse politischer Kommunikation, die offenkundig einen Nerv traf.

Ein ähnliches Kunststück gelingt Habeck jetzt mit seinen Ansprachen. Auch sie werden als positiver, vielleicht sogar überfälliger Stilbruch wahrgenommen. Das, was früher die staatstragende und etwas hüftsteife Fernsehansprache an die Nation war, bringt der Vizekanzler in neuneinhalb Minuten via X (vormals Twitter), Instagram und YouTube unter das Volk, ohne dabei an Würde und Autorität einzubüßen.

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Auch auf LinkedIn verbreitet Habeck seine beiden Israel-Reden. Hochpoltisches auf einer Business- und Marketingplattform? Warum nicht? Schließlich werden auch dort an der Schnittkante von Jobwelt und Gesellschaft ständig Fragen der Kultur und Haltung behandelt.

Die zeitlose Kraft der Worte, übertragen ins Universum der digitalen Endgeräte: In dieser Disziplin ist Habeck ein Könner, wie seine millionenfach geklickte Videobotschaft vom 1. November beweist. Er schafft es, dass sich weite Teile einer fragmentierten Öffentlichkeit über verschiedene Kanäle und Echokammern hinweg hinter einer Botschaft versammeln. In einer von Hassparolen und populistischem Geschwätz zermürbten Demokratie eine nicht gering zu schätzende Leistung.

Feilen an Halbsätzen

Befasst man sich mit der Resonanz auf Habecks Ansprache, fällt noch etwas auf: die dosierten Einblicke in die Entstehung der Rede, die einige Haupstadtredaktionen dem Publikum gewähren. Gemeinsam mit einer Riege enger Vertrauter, die Gedankenwelt und Ton des Ministers verinnerlicht hätten, habe Habeck über mehrere Tage an seinem Sprechtext gefeilt, weiß der Tagesspiegel von hinter den Kulissen zu berichten. Auch der Berlin-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung spürt der anspruchsvollen Detailarbeit am Manuskript nach: „Jedes Wort muss sitzen, keinesfalls darf es so sein, dass am Ende ein einziger gedankenlos formulierter Halbsatz die Debatte dominiert.“

Rede als Kollektivarbeit

Der US-Präsident ließ während seiner Amtszeit die Medien oft und gezielt an der Zusammenarbeit mit seinen Ghostwriterinnen und Ghostwritern teilhaben. Das öffentlich gesprochene Wort als demokratisches Hochamt, das besonders viel Verantwortung und intellektuelle Sorgfalt verlangt. Die Rede als kollektive Anstrengung, an der ein ganzes Team kluger Köpfe mitwirkt. Der politische Führer einer Supermacht als jemand, der bewusst Rat und Austausch sucht. All das gehörte bei Obama zur wirkungsvollen Inszenierung als moderner Leader und lauterer Rhetor.

Wider die Demokratieverachtung

Nicht ausgeschlossen, dass auch Robert Habeck diesen Spin sucht. Schließlich beschäftigt jeder Mensch in einem politischen Spitzenamt eine „Gruppe Geist und Wort“. So nannte Altbundespräsident Walter Scheel die Zuarbeitenden, die er für die Entwicklung seiner Reden um sich geschart hatte.

Diese Tatsache als Selbstveständlichkeit zu thematisieren, wäre nicht die schlechteste Idee. Es könnte jenen Elementen den Wind aus den Segeln nehmen, die Politikerinnen und Politiker auf Social Media immer wieder als „Marionetten“ ihrer Redenschreiber verächtlich machen. Ein schon seit Jahren kursierendes Motiv mit dem offensichtlichen Zweck der Desinformation und Demokratiezersetzung, das auch nach jeder Habeck-Ansprache verlässlich den Äther flutet. („Er liest doch nur vom Teleprompter ab, was man ihm aufgeschrieben hat!!!“)

Sie möchten die Rede von Robert Habeck zu Israel und Antisemitismus vom 1. November 2023 nachlesen? Das Manuskript im Wortlaut finden Sie auf der Seite des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz BMWK. 

Foto: Christian Lue via Unsplash


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