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KI als Makel: Kreativität unter Verdacht

Hat das ein Mensch geschrieben? Oder eine Maschine? Seit generative KI Gemeingut ist, herrscht Verunsicherung. Was löst die unklare Herkunft von Texten in uns aus? Eine neue Studie gibt Hinweise.

Einen Text lesen in der selbstverständlichen Grundannahme, dass ihn ein Mensch verfasst hat. Diese Zeiten sind unwiederbringlich vorbei. Was stellt das mit uns an? 

Schenkt man einer jüngst publizierten Konsumentenstudie des in Hamburg ansässigen Brand Science Institutes (BSI) Glauben, passiert in unseren Köpfen mehr, als uns womöglich bewusst ist.

Experiment: Hybrid-Content überzeugt am wenigsten

Untersucht wurde, wie Probanden auf identische Inhalte (Texte, Bilder) reagieren, die lediglich unterschiedlich ausgeflaggt wurden: als ausschließlich KI-generiert, als Kooperation von Mensch und Maschine oder aber als rein menschliches Erzeugnis.

In der Versuchsanordnung des BSI erzielt human gelabelter Content einen deutlichen Imagevorsprung; die Resonanz darauf fiel besonders positiv aus. Kam KI ins Spiel, war das Echo verhaltener. Als hybrid markierte Werke schnitten dabei durchweg schlechter ab als pure KI-Kreationen.

Maschinen erschaffen keine Bedeutsamkeit

Interessant ist, warum wir so urteilen. Die BSI-Untersuchung liefert die Kernthese: Menschen werten KI-assozierte Arbeiten ab, weil bei der Begegnung mit schöpferischen Inhalten fest verankerte kulturelle und psychologische Codes wirksam werden.

Dazu gehört, dass wir Autorschaft offenbar als etwas zutiefst Humanes verinnerlicht haben: Nur unsere Spezies verkörpert das, was echtes Erschaffen kennzeichnet – die Anstrengung und Hingabe, die Einzigartigkeit des kreativen Individuums, sein ureigenes Wollen und Weltverstehen.

Folglich können auch ausschließlich wir Menschen einem Werk Bedeutung und Wert einhauchen, nicht aber die Maschinen.

Sich Mühe geben – ein tief verwurzelter Wert

Solche Prägungen lassen sich nicht einfach abstreifen, wie die BSI-Studie darlegt. Denn wir werden beim Konsum von Geistes- und Kreativarbeiten von einem starken Bedürfnis nach Authentizität regiert. „Menschen wollen in einem Werk erkennen, dass jemand eine Entscheidung getroffen hat, dass jemand Verantwortung trägt, dass jemand durch Erfahrung, Mühe und Ausdruck eine Spur hinterlassen hat.“

Das erklärt auch, warum wir Mischerzeugnissen besonders abweisend begegnen. Salopp gesagt: Bei einem Inhalt, der sich eindeutig als KI-Produkt zu erkennen gibt, wissen wir wenigstens, woran wir sind. Werden wir jedoch im Unklaren darüber gelassen, was genau der menschliche Anteil an einer Schöpfung ist, die wir gerade lesen oder betrachten, wittern wir einen Täuschungsversuch, so die Studie. 

Die Vorstellung, der Urheber oder die Urheberin habe eigene Anstrengungen gescheut und wolle trotzdem Lorbeeren (sprich: ideelles Kapital) ernten, läuft offenkundig unserem tradierten Verständnis von Kreativität zuwider. Unsere moralischen Sensoren lösen Alarm aus. Wir entziehen der Leistung das Vertrauen.

Nicht mehr das Werk, sondern die Zuschreibung zählt

Reagiert unser innerer Wertekompass auf die Co-Kreation von Mensch und Maschine so extrem allergisch, wie die Studie es nahelegt, würde das ein gängiges Narrativ durchkreuzen. Die Hand-in-Hand-Arbeit mit KI, die in der Branche gebetsmühlenartig als Königsweg propagiert wird, könnte sich als Sackgasse entpuppen. 

Die Studie blättert diese Geschichte auf und will als große Antithese zum KI-Hype gelesen werden. Marketingpsychologe Nils Andres, Geschäftsführer des BSI und Initiator der Untersuchung, spricht von nichts weniger als einem „historischen Kipppunkt“ und ruft eine „Ökonomie des Menschlichen im KI-Zeitalter“ aus. 

Wert erzeuge künftig nicht mehr das Werk, „sondern die Zuschreibung, dass ein Mensch es erschaffen hat“, so die Botschaft an Wirtschaftsentscheider, Markenverantwortliche und Kreative. 

»In einer Welt, in der Maschinen alles imitieren können, verschiebt sich der Wert nicht in Richtung Perfektion oder Effizienz, sondern in Richtung Herkunft. Menschliche Autorschaft wird zur letzten knappen Ressource, die ökonomisch und symbolisch aufgeladen ist. Unternehmen, Marken und Künstler, die ihre Arbeiten explizit als „von Menschen geschaffen“ kennzeichnen, werden dadurch einen erheblichen Differenzierungsvorteil besitzen.«

Brand Science Institute, 09/2025

Steht die Marketingkommunikation schon an der Schwelle der Rückbesinnung auf den Wertschöpfungsfaktor Mensch? Das bleibt abzuwarten. Offen ist auch, ob die beschriebenen Status- und Abwehrmuster in den KI-sozialisierten Generationen überhaupt noch greifen werden. 

Was ist Kreativität? Kampf um Deutungshoheit

So oder so ist die BSI-Studie eine äußerst gewinnbringende Lektüre. Allein schon deshalb, weil sie hilft, die Kakophonie rund um KI besser einzuordnen. Die einen verteufeln lauthals die Technologie, andere posaunen ohne Unterlass ihre schrillen Heilsversprechen heraus. 

Kein Wunder. Es geht ja auch um viel – um die Deutungshoheit, wie wir künftig Kreativität verstehen und honorieren.

Die Mitte September 2025 veröffentlichte Untersuchung des Brand Science Institutes (BSI) trägt den etwas sperrigen Titel „Warum Arbeiten von Menschen mit Hilfe von KI radikal schlechter bewertet werden als reine Maschinenarbeit – Hybride Arbeiten als Täuschung“. Zur kompletten Studie und ihrem genauen Design gelangen Sie hier. 

Bebilderung: Trompe l’œil mit Schreibutensilien von Evert Collier (ca. 1699), Victoria and Albert Museum, London, Public Domain via Wikimedia Commons


Nicola Karnick war angestellte Kommunikationsberaterin und Redenschreiberin und arbeitet heute als freischaffende Autorin und Ghostwriterin in Hamburg. Sie schreibt im Auftrag Dritter aus Wirtschaft, Kultur und Politik – und unter eigenem Namen auf diesem Blog. Ihre Beobachtungen zur Entwicklung von Sprache und Diskursen in Gesellschaft und Arbeitswelt teilt sie auch auf LinkedIn und via Substack.


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