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„Ich finde es durchaus angenehm, im Hintergrund zu arbeiten“

Timotheus (Tim) Höttges ist Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom AG. Und Henrik Schmitz einer der guten Geister des CEOs. Der gelernte Journalist entwickelt mit seinem Chef dessen Reden und berät ihn in Sachen öffentliche Positionierung. Ein Gespräch über inhaltliche Substanz, die Kunst der Inspiration und Ghostwriting in Krisenzeiten.


Nicola Karnick: Tim Höttges führt Europas größten Telekommunikations-Konzern und zählt zu den sehr präsenten CEOs. Welchen Stellenwert hat aus Ihrer Sicht in seiner strategischen Kommunikation das Instrument Rede?

Henrik Schmitz: Für mich spielt es die wichtigste Rolle. Weil Reden eine Gelegenheit sind, Themen einmal in der Tiefe zu behandeln. Sie bieten die Chance, Gedanken zu sortieren und weiterzuspinnen. Und sich mit Neuem zu beschäftigen. In der Erarbeitung von Reden entstehen die eigentlichen Inhalte. Die meisten anderen Formate der Vorstandskommunikation bedienen sich letztlich der Elemente, die in Reden bereits angelegt worden sind. Wenn ich mir anschaue, in wie vielen Varianten Reden in einem Unternehmen zweit-, dritt- und viertverwertet werden, würde ich sogar sagen: Reden sind ein extrem wichtiger und prägender Content.

Das heißt, aus den Reden, die Sie für Ihren CEO entwickeln, speisen sich auch seine Social-Media-Inhalte?

Genau. Social-Media-Inhalte werden schnell banal, wenn man sie nicht grundsätzlich erarbeitet und durchdacht hat. Ohne die Vorarbeit in Form von Reden wäre aus meiner Sicht die Kommunikation auf Plattformen wie LinkedIn oder Instagram in Summe vergleichsweise hohl.

Denken Sie folglich schon beim Redenschreiben die digitale Kommunikation mit?

Nein, gar nicht. Wie gesagt, ich glaube an Inhalte mit Substanz. Und gebe mich der Hoffnung hin, dass die auch ihr Publikum finden. Mal ein breites, mal ein schmales. Aber natürlich machen wir uns Gedanken, wie wir diese Inhalte auch in der digitalen Kommunikation transportieren. Und selbstverständlich gibt es Formate, die speziell für Social-Media gemacht und spielerischer sind, wie etwa „Tim testet“ oder vieles auf Instagram.

Wie entsteht eine große Rede für Ihren Chef?

Tim Höttges ist extrem kreativ. Er hat immer Ideen. Eine Vorstellung davon, was er sagen will und was ihm wichtig ist. Da verfügt er einfach über große analytische Fähigkeiten gepaart mit Instinkt. Wir sprechen über das, was ihm vorschwebt. Dann kommt der erste Entwurf. Dann wird diskutiert und das Ganze schließlich in mehreren Schlaufen in eine Endfassung gebracht. Am schwierigsten ist meistens der Schluss. Oft steht da zunächst nur ein Platzhalter. Und auch aller Anfang ist bekanntlich schwer.

In so einem CEO-Redetext steckt aber doch sicher auch ein tüchtiger Anteil Kreativität von Ihnen selbst?

Das klingt jetzt vielleicht komisch. Aber im Grunde sind manche Reden oder Redenteile als kleine Setzlinge im Gewächshaus meines Alltags schon vorhanden. Und dann wird mal der eine gedüngt oder gegossen, und irgendwann wächst etwas daraus. Was ich sagen will: Gute Reden entstehen durch das permanente Aufsaugen von Informationen und eine Offenheit für Inspiration. Kürzlich habe ich bei einer Museumsführung ein interessantes Detail aus der Kunstgeschichte erfahren, das sicherlich einmal in eine Rede einfließen wird. Man muss solche Dinge im Alltag halt nur sehen und übertragen auf Themen, die einen später beschäftigen werden.

Schreiben Sie alle Redemanuskripte selbst? Oder wirken weitere Gewerke daran mit?

Wenn es um klassisch geschriebene, ausformulierte Reden geht, liegt das tatsächlich in meiner Verantwortung. Aber die sind inzwischen eher die Ausnahme. Die Rede zur Hauptversammlung ist ein Spezialfall, da sind intern viele beteiligt: von weiteren Kolleginnen und Kollegen der Unternehmenskommunikation über die Rechtsabteilung, das Controlling und verschiedene Fachinstanzen bis hin zu Investor Relations. Ich glaube, die HV-Rede lesen bestimmt zwanzig Leute. Und noch mehr füttern sie mit Informationen.

Was nicht immer eine freudvolle Erfahrung ist…

Ich höre oft von Redenschreiberinnen und Redenschreibern, bestimmte Sätze hätten ihnen „die Juristen“ oder „die Finanzer“ leider kaputt gemacht. Für mich sind das alles Menschen, mit denen ich gut über Formulierungen sprechen kann. Und meistens finden wir etwas, das anders klingt als das Bürgerliche Gesetzbuch, aber trotzdem rechtskonform ist.

„Unserer Debattenkultur täte es womöglich gut, wenn wir Argumente mittels kluger, durchdachter Reden austauschen würden – und nicht per intellektuellem 30-Sekunden-Limbo auf TikTok.“

Henrik Schmitz

Neben der Fähigkeit zur interdisziplinären Diplomatie: Welche Tugenden braucht man noch, wenn man einen Ghostwriting-Job in der Wirtschaft anstrebt?

Neugier, ein Gefühl für Sprache, Denken in Bildern, den Willen, sich tief in ein Thema einzuarbeiten, Humor, Empathie – um nur einige Punkte zu nennen. Ich habe den Eindruck, das meiste davon kann man nur bedingt lernen. Vermutlich braucht es einfach Talent. Wichtig für eine solche Arbeit in Unternehmen sind sicherlich ein gutes Netzwerk und eine gute Beziehungspflege.

Wie viele Redenschreiberinnen und Redeschreiber beschäftigt die Telekom insgesamt inhouse?

Tendenziell sind wir eine aussterbende Spezies. Ich habe eine Kollegin, die auch Reden schreibt. Und dann gibt es in der Finanzkommunikation noch Menschen, die Reden verfassen, etwa für die Quartalsberichterstattung. Sie finden aber bei uns niemanden mehr, der „nur“ Reden entwirft. Das hängt damit zusammen, dass wir Kommunikation breiter verstehen, stärker vom Inhalt kommen und daher weniger in Disziplinen als vielmehr in Themen denken.

Hat die klassische Chef-Rede, die allein auf das gesprochene Wort setzt, überhaupt noch Zukunft?

Ich denke, das entscheidet das Publikum. Bei uns werden Reden viel häufiger angereichert mit Bildern oder tatsächlich auch mit Charts. Seit Corona hat das Video wieder an Bedeutung gewonnen. Gelegentlich ist das ein Reden-Substitut. Dabei wird allerdings selten ein ausformulierter Redetext verwendet.

Bedauern Sie das?

Sagen wir so: Unserer Debattenkultur täte es womöglich gut, wenn wir Argumente mittels kluger, durchdachter Reden austauschen würden – und nicht per intellektuellem 30-Sekunden-Limbo auf TikTok. In der Kürze liegt ja bekanntlich die Würze, aber manches wird mir inzwischen dann doch zu scharf serviert. Vermutlich braucht es die Kombination aus beidem. Komplexität auf 30 Sekunden herunterzubrechen ist eine große Kunst und gelegentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Ich bewundere alle, die das beherrschen.

Persönlich bin ich eher der Mensch für die längere Strecke. Mir verschafft es eine gewisse geistige und kreative Unabhängigkeit, dass mir Reichweiten vergleichsweise egal sind. Ein Luxus, den ich mir vielleicht auch nur deshalb leisten kann, weil um mich herum kluge Menschen sind, die so etwas stärker im Blick haben.

Tim Höttges gilt als hervorragender Rhetoriker und heimst regelmäßig Auszeichnungen ein. So kürte ihn der Verband der Redenschreiber deutscher Sprache (VRdS) bereits mehrfach zum besten HV-Redner der Saison. Macht Sie das stolz?

Der Zweck einer Rede ist nie ein Preis. Aber natürlich macht es uns stolz, wenn unsere Arbeit anerkannt wird. Ich schätze die Auszeichnung, weil sie keine ist, um die sich der Redner oder eine Rednerin bewirbt oder für die man womöglich noch eine Gebühr zahlt. Gerade in der PR sind Auszeichnungen ja gelegentlich auch Geschäftsmodelle. Das Tolle beim VRdS ist vor allem die fachliche Kritik in Form eines Gutachtens. Diese Analysen helfen, künftige HV-Reden im Idealfall noch besser zu machen.

Sie wirken als Wortschmied hinter, nicht auf der Bühne. Den Applaus erntet Ihr Chef. Stünden Sie manchmal gerne selbst im Rampenlicht?

Die Frage stellt sich für mich nicht in diesem Zusammenhang. Den Applaus bekommt zurecht die Person, die die Inhalte der Rede oder – wie bei einer Hauptversammlung – auch die darin präsentierten Erfolge verantwortet. Also der Redner oder die Rednerin. Grundsätzlich finde ich es durchaus angenehm, im Hintergrund zu arbeiten. Gleichwohl macht es mir auch Spaß, Veranstaltungen zu moderieren. Und ja, da sind dann auch Scheinwerfer.

„Wir bemühen uns generell in der Kommunikation um eine ausgewogene Sprache, sind da aber frei unterwegs. Es gibt keine Vorschriften – weder in die eine noch in die andere Richtung.“

Henrik Schmitz

Die Sprache ist unser alleiniges Werkzeug. Worauf legen Sie beim Redenschreiben besonderen Wert?

Mein Ziel ist: Eine Rede soll in einfacher Sprache gehalten und trotzdem geistreich sein. Gelegentlich gelingt das offenbar.

Spielt Corporate Language eine Rolle?

Ja, indem man sie möglichst vermeidet.

„Liebe Aktionär*innen“ ist auch in diesem Jahr wieder im veröffentlichten Redemanuskript zur Telekom-Hauptversammlung zu lesen. Das Gendersternchen – nur ein Gag?

Nein, Sie finden es zum Beispiel auch in manchen von Tim Höttges‘ Beiträgen auf LinkedIn. Grundsätzlich bemühen wir uns aber eher darum, neutrale Wörter zu wählen oder sowohl die weibliche als auch die männliche Form zu verwenden. Die Deutsche Telekom ist ein inklusives Unternehmen. Wir legen viel Wert auf Vielfalt in den Teams. Unterschiedliche Fachrichtungen, verschiedene kulturelle Hintergründe und Geschlechter oder auch sexuelle Orientierungen sind bei uns willkommen, dafür bin ich ja selbst ein Beispiel.

Diversität ist uns wichtig, wohl wissend, dass wir noch nicht am Ziel sind. Wir bemühen uns generell in der Kommunikation um eine ausgewogene Sprache, sind da aber frei unterwegs. Es gibt keine Vorschriften – weder in die eine noch in die andere Richtung. Selbstkritisch könnte man sagen: Wir sind nicht konsequent. Einig sind wir uns aber darin, dass wir auf keinen Fall einen Kulturkampf führen wollen. Sprache ist einerseits Regelwerk, andererseits Evolution. So sehen wir das.

Sie haben vor einigen Jahren eine Telekom-Auszeit für einen Ausflug in das politische Redenschreiben genutzt. Wie unterscheidet sich die Kommunikations-Arbeit für einen Vorstandsvorsitzenden von der für eine Spitzenkandidatin?

Vorweg möchte ich das ein bisschen geraderücken: Es ging mir bei diesem Ausflug weniger um die Politik, sondern vorrangig darum, einer Freundin zu helfen. Und es ging dabei nicht ausschließlich um das Schreiben von Reden. Davon abgesehen: Eine gute Rede ist eine gute Rede, auch in der Politik. Gleichwohl ist das Umfeld ein völlig anderes. Der Umgang ist ziemlich gnadenlos. Das habe ich auch vor meiner Auszeit schon bei früheren politischen oder halbpolitischen Stationen so erlebt. Ich bewundere Menschen, die das aushalten.

Sollte ich beide „Systeme“, also Politik und Konzern, vergleichen, würde ich mich zu der Aussage verleiten lassen: In einem Unternehmen wie der Telekom nehmen Menschlichkeit und Anstand einen höheren Stellenwert ein. Was für mich eine durchaus überraschende Erkenntnis war. Die aber wohlgemerkt völlig subjektiv ist.

Apropos Politik. Auch wenn die Pandemie uns gerade eine Verschnaufpause gönnt und es kaum noch Einschränkungen gibt: Wie wirkt sich Corona auf das Format CEO-Rede aus?

Wie eben schon erwähnt, haben wir stärker mit dem Format Video gearbeitet. Und uns auch dabei um Kreativität bemüht, etwa indem wir einen Clip gemacht haben mit dem Titel „Soundtrack der Pandemie“. Anhand einer Schallplattensammlung hat Tim Höttges darüber gesprochen, was während der Pandemie wichtig ist, zum Beispiel für die eigene Gesundheit. Insgesamt ist das Thema Haltung wieder stärker in den Fokus gerückt. Es hat mehr gemenschelt. Und das meine ich nicht despektierlich, sondern positiv.

Wie funktionierte die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und Ihrem CEO während der erzwungenen Distanziertheit?

Wir haben keine Distanz. Wir waren und sind im ständigen Austausch. Persönlich, per Video, sehr viel per Messengerdienst.

Kann eine virtuelle die „leibhaftige“ Rede ersetzen? Welche Erfahrungen haben Sie gesammelt?

Es fehlt beiden etwas: dem Publikum und dem oder der Vortragenden. Für Vortragende ist es, glaube ich, schwieriger, nur in eine Kamera zu sprechen und kein Gefühl dafür entwickeln zu können: Welche Schwingungen sind da? Welche Emotionen sind im Raum? Aber man kann ja nicht ändern, was nicht zu ändern ist.

Zu Corona hat sich inzwischen der Krieg gesellt. Verändern diese epochalen Krisen die Tonlage der CEO-Kommunikation?

Das Risiko, den falschen Ton zu treffen, ist nochmal höher. Insofern wägt man Worte noch besser ab. Das ist ein Spagat. Tim Höttges neigt zum Glück nicht dazu, auf Klarheit und Haltung zu verzichten. Er ist da bewundernswert robust. Aber er hat auch den Grundsatz, dass er nur zu solchen Themen spricht, die in seiner Einflusssphäre liegen. Im Fall der Ukraine hat die Telekom es nicht bei Solidaritätsbekundungen belassen, sondern sie hilft konkret, wo sie es kann.

Verlangt Ihnen die Weltlage neue Qualitäten beim Redenschreiben ab?

Nein. Aber womöglich andere Tasten auf der Klaviatur, die ich vorher nicht so oft gedrückt habe.


Henrik Schmitz (Telekom) im Halbporträt.
Foto: privat

Henrik Schmitz

ist als Vice President Communication Strategy and CEO Communication bei der Deutschen Telekom seit 2018 für die interne und externe Kommunikation des Vorstandsvorsitzenden zuständig. Er erarbeitet für Tim Höttges Reden, bereitet ihn inhaltlich auf Interviews und Podiumsdiskussionen vor und konzipiert seine Social-Media-Auftritte. Daneben widmet er sich strategischen Aufgaben und kümmert sich um netzpolitische Themen. Nach beruflichen Stationen bei verschiedenen Print- und Onlinemedien und dem Hörfunk absolvierte der studierte Journalist ein Gastspiel in der Staatskanzlei des Landes Nordrhein-Westfalen. Dort arbeitete Schmitz unter anderem der damaligen Medienministerin Angelica Schwall-Düren zu. Nach einem Intermezzo beim Deutschen Gewerkschaftsbund startete er vor neun Jahren zunächst als Vorstandsassistent bei der Telekom und wechselte dann in die Unternehmenskommunikation.


Welche Rolle spielen Text und Sprache in Ihrem Geschäft? Erzählen Sie mir gerne davon – als mein Gesprächsgast auf diesem Blog.

Titel-Foto: Ebuen Clemente Jr. via Unsplash

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