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Manager-Rhetorik: Die sprachliche Kluft

Es gibt sie, die Vorstandschefs, die wie normale Menschen reden. Aber auch solche, deren Worte seltsam formelhaft und lebensfern klingen. Beobachtungen und Gedanken zum öffentlichen Sprechen von CEOs.

Vor einiger Zeit hörte ich dem Vorstandsvorsitzenden eines Karrierenetzwerks dabei zu, wie er in einem reichweitenstarken Marketing-Podcast die eigenen beruflichen Erfolge besprach. Befragt nach seinem bald anstehenden Rückzug aus dem Unternehmen, führt der CEO aus, mit 60 Jahren wolle er Platz machen für eine nächste Management-Generation. Seine Überlegungen haben Hand und Fuß. Der Redestil allerdings, in dem der Mann über sich und sein Führungsverständnis Auskunft gibt, irritiert. Das ziemlich breitbeinige Gespräch strotzt nur so vor Business-Slang. Es fallen Sätze wie: „Man hat seine eigenen Gedanken gebaut. Man hat seine Loyalität zu bestimmten Themen, bestimmten Leuten gebaut.“

Eine Wortwahl, bei sich mir die Nackenhaare sträuben. Damit meine ich weniger das distanzierte man, mit dem machtgepanzerte Menschen gerne zu sich selbst auf Abstand gehen, wenn es zu persönlich wird. Unbehagen löst bei mir vielmehr das Verb aus, das der Manager benutzt. Gedanken drängen sich auf, beschäftigen uns, oder wir teilen sie mit unserem Gegenüber. Loyalität empfinden oder erwarten wir. Aber bauen? Der CEO spricht wohlgemerkt über seine Sichtweisen, über innere Beweggründe und menschliche Beziehungen. Doch es klingt, als dozierte er über die Modellierung von Geschäftsprozessen oder eine strategische Akquisition.

Deformation des Sprechens

Warum reden Führungskräfte so? Wie kommt es, dass ihnen in der medialen Kommunikation solche Phrasen entschlüpfen? Sicher, Menschen in höchster unternehmerischer Verantwortung bewegen sich zwangsläufig in der Denkwelt der Betriebswirtschaft. Wer einen börsennotierten Konzern führt, ist auf den Jargon der Investoren und Analysten konditioniert. Und womöglich hat die Deformation des Sprechens auch etwas zu tun mit der Vereinnahmung durch die Unternehmens- und Strategieberatungen. Ein Kosmos, in dem man häufig eine mechanistische und menschenferne Sprache antrifft.

Wenn ein CEO vor dem Podcast-Mikrofon sitzt, verlässt er allerdings diese Sphäre. Dann wird er zur Stimme seines Unternehmens, die sich nicht nur an seinesgleichen, sondern eine breitere Öffentlichkeit wendet. Er sollte daher in der Lage sein, ein passendes Register zu ziehen. Einfach weiterzuorgeln im Sound der Organisations- und Managementwelt, ist wenig souverän. Es zeugt von mangelndem Gespür für die Außenwirkung der eigenen Kommunikation. Das Publikum an den Endgeräten will etwas vom Wesen hinter der Funktionsrüstung erleben – keinen Mummenschanz mit blechernen Formeln und markigen Sprüchen.

Rednerische Menschwerdung

Menschlich sprechen, auch als Manager. Wie das geht, zeigt zum Beispiel der Vorstandsvorsitzende der OTTO-Gruppe. Als Gast in Podcasts wie „On the Way to New Work“ oder „Management Inside“ nehme ich Alexander Birken als einen Unternehmenschef wahr, der nahbar und unverstellt über sein Geschäft und die Herausforderungen der Branche spricht. Man spürt: Hier ist ein CEO rednerisch um Natürlichkeit bemüht und hat die hauseigene Corporate Language im Hinterkopf. In seiner Rhetorik erkenne ich die Sprachwerte wieder, die das Unternehmen sich unlängst verordnet hat: Ja, der Mann redet tatsächlich unbeschwert und zugewandt, klar und zeitgemäß. Der Kulturwandel habe das Sprachbewusstsein in der Organisation verändert, sagt Alexander Birken im Gespräch mit „On the Way to New Work“.

Wer als CEO zur Öffentlichkeit spricht, sollte das Visier lüften – und sein Vokabular gleich mit.

„Es ist schon wichtig, dass man die richtige Ansprache findet in dem Umfeld, in dem man sich bewegt.“ Das hat auch Siemens-Chef Joe Kaeser verinnerlicht, den ich jüngst im Podcast „Die Blaue Couch“ des Bayerischen Rundfunks reden hörte. So umstritten der politisch meinungsfreudige Konzernlenker auch sein mag: Wie bodenständig er auf dem öffentlich-rechtlichen Kanal plaudert, ist bemerkenswert. Die Reizfigur der deutschen Industrie weiß, welche Bedeutung Sprache für das eigene Außenbild hat. Authentisch wolle er wirken, gibt Kaeser mit unverkennbar niederbayerischem Einschlag preis. „Weil es am besten ist, dass man so rüberkommt, wie man wirklich ist.“

Erweitertes „Sendegebiet“

Über Geschäftliches in einer grundständigen Sprache zu reden, das fällt nicht jedem zu. Manch Firmenlenker hält Managementdeutsch gar für einen Ausweis von Führungsstärke. Dabei ist das Gegenteil der Fall. Wer als CEO zur Öffentlichkeit spricht, sollte das Visier lüften – und sein Vokabular gleich mit. Denn sein Resonanzraum endet nicht bei Anteilseignern und Investoren.

Ein Vorstandsvorsitzender von heute muss mehr abliefern als nur gute Zahlen, er ist immer auch oberster Sinnbotschafter seiner Organisation. Von einer DAX-Chefin wird erwartet, dass sie sich an gesellschaftspolitischen Kontroversen beteiligt. Managerinnen und Manager müssen argumentieren, sich erklären, um öffentlichen Rückhalt für unternehmerische Entscheidungen werben. Um die unbequemen Diskussionen unserer Zeit darf sich das Spitzenpersonal der Wirtschaft nicht herumdrücken. „Hinhören und kommunizieren“, schreibt Christiane Schulz, Deutschlandchefin der Agentur Edelman und GPRA-Präsidentin, auf LinkedIn den CEOs ins Pflichtenheft.

Raus mit der Sprache!

Hinhören und kommunizieren, ganz richtig. Und das tunlichst nicht mit einer Rhetorik aus dem Baukasten der Betriebsführung, denn die wird der Sache nicht gerecht. Es braucht dazu eine andere, offenere Sprache. Eine Sprache, die den Horizont weitet und die CEOs und ihre Unternehmen mit der Welt und den Menschen verbindet. Eine Sprache, in der Platz ist auch für Zweifel und Ambivalenzen. Eine Sprache, die nicht Kulissen baut, sondern echten Gedankenaustausch sucht.

So gesehen könnte es eine durchaus nützliche Übung sein, wenn mehr CEOs von ihren PR-Leiterinnen und Pressechefs auf Sendung geschickt werden: in die Podcast-Studios, auf die Plattformen, und überhaupt in die digitalen Arenen. Eben überall dorthin, wo üblicherweise ganz anders geredet wird als in der Welt der Boardrooms. Den Menschen aus den Top-Etagen der Wirtschaft kann diese Erfahrung nur guttun. Mehr sprachliche Bodenhaftung schwächt ihre Kommunikation nicht etwa – sondern macht sie glaubwürdiger und stärkt sie für den so dringend notwendigen gesellschaftlichen Dialog.


Foto: Nik Shuliahin via Unsplash

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