Die Politisierung der Wirtschaft ist eine wichtige Größe bei der Verteidigung unserer Demokratie. Doch warum macht sich das Wort ausgerechnet in den Hauptversammlungs-Reden der DAX-Chefs so rar? Eine Randnotiz mit Fragezeichen.
Kommt die Demokratie unter die Räder? Das habe ich mich gefragt, als ich dieser Tage die Hauptversammlungs-Rede der Volkswagen AG studierte, die der DAX-Konzern auf seinem Investorenportal in zweifacher Ausführung bereitstellt.
Was irritierte: In der bereits eine Woche vor dem eigentlichen Termin veröffentlichten Version findet sich gegen Schluss des Sprechtextes ein kurzes Statement des Vorstandsvorsitzenden Oliver Blume in Sachen Demokratie. In der finalen Fassung jedoch fehlt dieser Passus. Mehr noch: Das Wort „Demokratie“ taucht in dieser Rede überhaupt nicht mehr auf. Ersatzlos gestrichen.
Dann eine gewisse Erleichterung: Mittlerweile hat Oliver Blume erneut eine virtuelle HV-Rede gehalten, diesmal in seiner Eigenschaft als CEO der Porsche AG. Und das D-Wort fiel: „Wir zeigen Haltung. Wir treten ein für Demokratie und Freiheit. Für Vielfalt und Offenheit. Für Respekt und Toleranz.“ Dafür stehe er auch ganz persönlich, sagte der Manager, der im Februar als erster Vorstandschef eines DAX-Konzerns auf einer Großdemonstration öffentlich das Wort für die Demokratie ergriffen hatte.
Demokratische Leerstelle
Gehört es also für CEOs zur Pflichtübung, sich in der Hauptversammlungssaison 2024 gesellschaftspolitisch zu erklären? Mitnichten. Die „Demokratie“ macht sich rar in den Reden an die Aktionärinnen und Aktionäre. Nur bei etwa einem Drittel der online verfügbaren Manuskripte wirft die Suchfunktion das Wort oder sein Derivat „demokratisch“ aus.
Das ist einigermaßen ernüchternd. Oder zumindest verwunderlich. Schließlich erlebt Deutschlands Wirtschaft gerade einen regelrechten Politisierungsschub. Immer mehr Unternehmenslenkerinnen und -lenker bekennen sich öffentlich zu Demokratie und Verfassung. Bündnisse und Initiativen zur Demokratiestärkung sprießen wie Pilze aus dem Boden. Man hat schon fast Mühe, vor lauter Engagement nicht den Überblick zu verlieren.
Auch an Appellen von CEOs, sich an den Europawahlen zu beteiligen, hat es in jüngster Zeit nicht gemangelt. Den 75. Geburtstag des Grundgesetzes haben ebenfalls viele Unternehmen zur Positionierung genutzt. Selten hat sich unsere Demokratie so verwundbar angefühlt – und selten so wehrhaft wie in diesen Wochen, in denen auch weite Teile der Wirtschaft laut und vernehmlich für sie Partei ergreifen.
Unerklärliche Unwucht
Warum aber beflügelt dieses Momentum nur wenige HV-Reden? Ist es Nachlässigkeit? Sind die Redenschreiber:innen gefangen im Korsett der Investorennarrative? Oder steckt dahinter Kalkül? Sieht man in Shareholdern keine geeigneten Adressaten für demokratische Haltungskommunikation?
Aber ist es nicht seltsam inkonsequent, wenn Vorstandsvorsitzende von DAX-Unternehmen, die sich der großen Allianz „Wir stehen für Werte“ angeschlossen haben, in ihren HV-Ansprachen nicht ein einziges Wort an die Demokratie verschwenden?
Ich suche nach einer Erklärung für diese Unwucht und finde keine.
Foto: Sara Kurfeß via Unsplash
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