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Wanderwege der Kommunikation

Reisen bildet bekanntlich. Auch in Sachen Sprache. Über die unverhoffte Begegnung mit einem Allerweltswort.

Wir PR-, Beratungs- und Marketingmenschen benutzen ihn ständig. Er ist Synonym für eine ganze Berufsdisziplin und andauernd Gegenstand unserer Anstrengungen. So selbstverständlich wabert er durch die Lebens- und Arbeitswelt von heute, dass wir dem Begriff als solchem kaum Aufmerksamkeit schenken: dem Terminus Kommunikation. Auch ich, die ich mich ständig mit Sprache und Bedeutung beschäftige, habe ausgerechnet auf dieses Wort bislang herzlich wenig Gedanken verschwendet.

Ein Ausflug in die brandenburgische Provinz sollte das ändern. Dorthin gelockt hatte mich eine Ausstellung des Museums Neuruppin anlässlich des Theodor-Fontane-Jubiläumsjahres. Als ich mich vor Ort mithilfe meines Smartphones orientiere, stutze ich: Offenbar gibt es in der Kleinstadt mehrere Straßenzüge, die den originellen Namen Kommunikation tragen.

Das Merkwürdige: Keiner der bei Google-Maps so ausgewiesenen Wege trägt in Wirklichkeit ein Straßenschild. Und noch eine Gemeinsamkeit haben die geheimnisvollen Pfade: Sie führen stets entlang der historischen Neuruppiner Stadtmauer. Die Kommunikation scheint kein Straßenname im herkömmlichen Sinne zu sein. Es muss eine besondere Bewandtnis damit haben.

Und tatsächlich: Eine offizielle Adresse ist die Kommunikation in Neuruppin nicht, sondern eine Art Sammel- oder Rufname für bestimmte Zufahrtswege. Anlieger können darüber ihre an die Stadtmauer angrenzenden, rückwärtigen Grundstücke erreichen. Obwohl die Kommunikationen weder als Straßen gewidmet noch beschildert sind, verwenden die Einheimischen diesen Namen ganz selbstverständlich, erfahre ich auf Nachfrage von der Pressestelle der Stadt.

Karriere einer Vokabel

Kommunikation ist also auch hier ein Alltagsbegriff — jedoch in völlig anderem als dem geläufigen Zusammenhang. Wenn wir heutzutage das Wort benutzen, dann in aller Regel zur Beschreibung einer sozialen Handlung. Kommunikation leitet sich ab vom lateinischen communicare, was so viel bedeutet wie „teilen, mitteilen, etwas gemeinsam/gemeinschaftlich machen, sich besprechen“. Der Online-Duden beschreibt Kommunikation als „Verständigung untereinander“ und als „zwischenmenschlichen Verkehr besonders mithilfe von Sprache, Zeichen“.

Auch wenn es sich so anfühlt, als wäre der Ausdruck schon immer dagewesen: Kommunikation ist eine vergleichsweise junge Erscheinung in unserem Allgemeinwortschatz. Erst Ende der 1960er Jahre wandert das Fremdwort in die Umgangssprache.

Großen Anteil daran hatte das Buch „Pragmatics of Human Communication“ von Paul Watzlawick, Janet H. Beavin und Don D. Jackson, das 1969 für das deutschsprachige Publikum unter dem Titel „Menschliche Kommunikation“ erschien. Der Begriff klinge „im Deutschen ungewohnt“, notierte damals der Psychotherapeut und Sprachwissenschaftler Watzlawick in seinem Vorwort zur übersetzten Ausgabe.

Das sollte sich schon bald ändern. Ab den 1970er Jahren legt der Terminus Kommunikation in Gesellschaft, Politik und Medien eine steile Karriere hin. Er zählt zu den 100 prägenden Wörtern des 20. Jahrhunderts und ist heute aus unserem Vokabular nicht mehr wegzudenken.

Wehrhafte Vergangenheit

Die Kommunikation in Fontanes Geburtsstadt dagegen ist anderer Natur. Sie weist weit zurück in die Geschichte. Genauer gesagt in eine Zeit, als der Begriff etwas sehr viel Handfesteres meinte, nämlich die Verbindung zwischen Heeresteilen oder einzelnen Knotenpunkten.

Die Neuruppiner Kommunikation beschrieb bereits im Mittelalter jenen heute noch erhaltenen Weg direkt an der inneren Stadtmauer, klärt mich das örtliche Presseamt auf. Im Falle einer Bedrohung von außen konnten Soldaten und Bürger über die Kommunikation rasch die Wehrtürme und Verteidigungsanlagen erreichen.

Nicht nur im Brandenburgischen, auch andernorts war Kommunikation lange ein Ausdruck der militärischen Infrastruktur. Im Festungsbau verstand man darunter einen sogenannten „gedeckten Weg“. Die Kommunikation war dergestalt beschaffen, dass sie von feindlichen Belagerern nicht eingesehen werden konnte. In ihren verborgenen Erweiterungen, den Waffenplätzen, wurden üblicherweise die Truppen für einen Gegenschlag zusammengezogen.

Blühende Gärten

Im weiteren Zeitenlauf lässt das Wort seine kriegerische Vergangenheit allmählich hinter sich. Kommunikation wird zu einer allgemein gebräuchlichen Wendung für zentrale Gemeinde- und Verbindungswege. Oftmals führen diese Hauptwege aus der Stadt heraus zu den umliegenden Wiesen, Feldern und Gärten.

Unter dem erstarkenden Einfluss des Französischen tauchen um die Wende vom 18. ins 19. Jahrhundert vielerorts in Deutschland Communicationen in den Adressverzeichnissen auf. Ein zusammenhängender Verkehrsweg mit diesem Namen führte zum Beispiel auf ländlicher Seite einmal rund um Alt-Berlin. Etliche andere Straßen der Stadt heißen zu jener Zeit ebenfalls so, etwa die heutige Danziger Straße („Communicationsweg“) oder die Friedenstraße („Communication am Landsberger Thor“).

In der Spreemetropole und anderen Städten verschwinden die meisten Communicationswege allerdings nach und nach wieder. Die wachsenden Siedlungen dringen immer weiter in die einst ländliche Umgebung vor. Vielen Communicationen werden eigenständige „urbane“ Straßennamen verpasst, was auch der Eitelkeit stolzer städtischer Bürgerinnen und Bürger zu verdanken sein soll.

Heute finden sich in Deutschland nur noch ganz vereinzelt Spuren der Kommunikation in ihrer früheren Bedeutung. So etwa in Brandenburg an der Havel, wo, anders als in Neuruppin, eine Straße ganz offiziell diesen Namen im Schild trägt. Am Stadtrand von Bonn verläuft ein Communicationsweg quer durch das Waldgebiet Kottenforst. Im schleswig-holsteinischen Nortorf gibt es inmitten von Äckern einen gleichnamigen alten Wirtschaftsweg, der ebenfalls an den Verbindungsauftrag des Wortes erinnert.

Neuruppiner Lektion

Und was können wir modernen Menschen nun mitnehmen aus den Wanderwegen der Kommunikation?

Lesen wir die Wortgeschichte einfach als eine Art Gleichnis. Kommunikation, wie wir sie heute verstehen, vermag beides: Sie kann wie eine Straße sein, die in viele Richtungen Erreichbarkeit sichert, die neue Verbindungen stiftet und einen lebhaften Austausch ermöglicht. Im besten Fall ist Kommunikation wie der Communicationsweg unserer Vorfahren: ein Pfad, der hinausführt ins fruchtbare Gelände, wo Gutes gedeiht, und über den die Ernte eingefahren wird.

Kommunikation kann aber auch das Gegenteil bedeuten, nämlich unter Beschuss die Stellung halten zu müssen. Dann wird eher operiert wie im Kriegsgang einer Trutzburg: Kommunikation aus der Deckung heraus, bis an die Zähne bewaffnet und getrieben von Angst vor der Niederlage.

Raus ins Freie und die Begegnung suchen? Oder im Verborgenen taktieren und mauern? Nicht immer haben wir die Wahl. Aber sich klarzumachen, dass Kommunikation als historische Metapher stets zwei Wege eröffnet, mag bei Gelegenheit doch nützlich sein.


Quellen zum Nach- und Weiterlesen:


Haben Sie ein Faible für Sprache?

Dann werden Sie Spaß haben am Begleitband zur inzwischen beendeten Leitausstellung fontane.200/Autor, die das Museum Neuruppin anlässlich des Theodor-Fontane-Jubiläumsjahres 2019 auf die Beine gestellt hatte. Das illustrierte Lesebuch taucht tief ein in die Text- und Wörterwelten des berühmten Dichters. (Verlag für Berlin-Brandenburg, 28 Euro)


Die Bilder zeigen verschiedene Abschnitte der „Kommunikation“ an der historischen Stadtmauer von Neuruppin. (Fotos: Nicola Karnick)

Diesen Text finden Sie auch auf Medium.

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