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Redenschreiben – eine Disziplin der Vielseitigkeit

Wer spricht, steht meist allein im Scheinwerferlicht. Redenschreiben aber ist Teamwork und oft die Leistung mehrerer Köpfe. Von ihrem Zusammenspiel hängt ab, ob aus vielen Zutaten am Ende ein überzeugender Redetext wird.

„Mut zur Zukunft“ war die Regierungserklärung überschrieben, die Helmut Schmidt am 24. November 1980 abgab. Wenige Tage später erschien in der Wochenzeitung DIE ZEIT eine Rekonstruktion zur Entstehung dieser Rede. Das Stück aus dem Maschinenraum der Bonner Republik ist ein journalistisches Kleinod. Es rollt auf, wie in der „Schreibstube“ des Bundeskanzlers sieben Wochen lang an dem wichtigen Manuskript gebastelt wurde.

„Basteln“ ist dabei wörtlich zu verstehen. Man erfährt, dass Schmidts Chef-Redenschreiber gegen Mitternacht „Papiermassen notgedrungen in Plastiktüten“ zu sich nach Hause schleppte, weil die Ressorts erst spät, aber dafür überaus umfangreich Material zugeliefert hatten. Und man erlebt mit, wie sich das Konvolut – auch „mittels Schnippeln und Kleben“ – schließlich zu einem Redetext verdichtet.

Texte mit Bühnenreife

Geschnippelt und geklebt werden Sprechtexte heute nicht mehr. Eine Gemeinschaftsarbeit bleibt das Redenschreiben aber auch im Digitalzeitalter.

Redemanuskripte für die Führungsriegen aus Politik und Wirtschaft haben oft viele Mitwirkende. Häufiger als bei anderen Formaten melden eine Reihe von Instanzen ihre Ansprüche, Ideen, Bedenken an. Das ist angebracht. Denn eine Ansprache ist besonderer Content. Das geschriebene Wort geht live. Gedanken und Botschaften müssen auf der Bühne (und auf Social Media) performen. Ein Redetext ist ein Text für das Rampenlicht.

Kompetenzen respektieren

Wenn viele an einem Manuskript herumwerkeln, ist das nicht ohne Risiko. Im schlechtesten Fall kommt dabei Flickwerk heraus. Ein fauler, unambitionierter Kompromiss.

Im Idealfall jedoch ist die Kollektivproduktion des Redenschreibens eine fruchtbringende Angelegenheit. Sie funktioniert immer dann am besten, wenn die beteiligten Gewerke sich gegenseitig mit ihren speziellen Kompetenzen achten.

Dynamik des Miteinanders

Fakten und Fachwissen? Sind wichtig und unverzichtbar. Sie untermauern das Gesagte, geben Argumenten Gewicht. Aber ein Zuviel an Detaileifer muss eingefangen werden, sonst geht der rote Faden der Rede flöten.

Die große strategische Linie? Soll erkennbar und dem Manuskript eingeschrieben werden. Doch mit Geschick und Gespür. Schließlich will die Rede wie eine Rede klingen – und nicht wie ein Konzeptpapier.

Kanzleisprache? Bitte nicht, seufzen Redenschreiberinnen und Redenschreiber. Wohl wissend: Bei heiklen Passagen (die sich manchmal nicht umschiffen lassen) haben wir uns dem sperrigen Wording der Justiziare zu beugen. Rechtssicherheit sticht sprachliche Schönheit.

Redenschreiben ist Co-Working

Lange Rede, kurzer Sinn: Eine starkes Manuskript entsteht, wenn Sachverstand, Strategiedenken und schreiberisches Können sich verbünden. Eitelkeiten über Bord zu werfen, gehört dazu. Schlaue Überlegungen machen noch keine gewinnende Ansprache. Eine gute Schreibe allein aber auch nicht. Für eine Rede, die beim Publikum „kleben“ bleiben soll, braucht es im Hintergrund ein ganzes Ensemble.

Das war beim großen Rhetoriker Helmut Schmidt so. Und es gilt heute noch.


Der eingangs erwähnte Zeitungsartikel aus dem Jahr 1980 trägt den Titel „Keine Fackel – nur Streichhölzer“ und ist für ZEIT-Abonnenten digital archiviert. Das Original-Manuskript der Regierungserklärung finden Sie bei der Bundeskanzler Helmut Schmidt Stiftung. 

Titelfoto: Nicola Karnick (Bearbeitung: KI)

Nicola Karnick war angestellte Kommunikationsberaterin und Redenschreiberin und arbeitet heute als freischaffende Autorin und Ghostwriterin in Hamburg. Sie schreibt im Auftrag Dritter aus Wirtschaft, Kultur und Politik – und unter eigenem Namen auf diesem Blog. Ihre Beobachtungen zur Entwicklung von Sprache und Diskursen in Gesellschaft und Arbeitswelt teilt sie auch auf LinkedIn und via Substack.


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