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„Krieg ist brutal und schrecklich. Wer etwas anderes behauptet, erreicht das Kommunikationsziel nicht“

Als Presseoffizier der Reserve versieht Christian Gummig regelmäßig Dienst bei der Bundeswehr. Im Hauptberuf führt der studierte Jurist eine Kommunikationsberatung in Hamburg. In seiner zivilen Rolle hat er mir das folgende Interview gewährt. Ein Gespräch über die Begriffswelt des Militärs und Sprache in der außenpolitischen Zeitenwende.

Nicola Karnick: Christian, wo genau ist Deine Arbeit als Reservist angesiedelt? Und was umfasst sie?

Christian Gummig: Hat man als Reservist eine feste militärische Heimat bei einer Einheit oder Dienststelle, wird man „beordert“ und auf eine konkrete Reservistenstelle eingeplant. Oft sind das sogenannte „Spiegelstellen“, das heißt man bildet einen aktiven Offizier oder eine Offizierin als Vertreter ab. Ich selbst bin dem Presse- und Informationszentrum, kurz PIZ, beim Operativen Führungskommando der Bundeswehr in Berlin zugeordnet. Die Einsatzmöglichkeiten im Rahmen der Medien- und Öffentlichkeitsarbeit sind als Presseoffizier oder neudeutsch „Public Affairs Officer“ vielfältig. Sie reichen von klassischer Pressearbeit bis zu größeren Projekten wie zum Beispiel der Begleitung von Übungen mit zahlreichen Medienvertretern. Highlight im letzten Jahr war für mich eine ressortübergreifende Kommunikationstagung im Rahmen des „Operationsplans Deutschland“, die ich mit einem Team konzipieren, organisieren und dann auch moderieren durfte.

Du wechselst regelmäßig von der zivilen in die militärische Kommunikatoren-Rolle? Wie unterscheiden sich beide?

Gar nicht so stark. Hier wie dort geht es darum, Inhalte so zu vermitteln, dass eine bestimmte Zielgruppe sie versteht. Im zivilen Bereich ist es lediglich häufiger so, dass Sender und Empfänger im selben Sprach- und Deutungsraum unterwegs sind. Bei der militärischen Kommunikation in den zivilen Raum dagegen muss mehr übersetzt werden, weil die Zielgruppen schlicht nicht mit der militärischen Sprache vertraut sind.

Spricht der Zivilist Christian anders, wenn er Uniform trägt?

Natürlich, und zwar ganz bewusst. Keine Branche ist frei von eigener Sprache, Begriffen und Codes. Jede hat ihren Jargon. Das gilt für das Kommunikationsgewerbe genau wie für die Juristerei – und in besonderem Maße eben auch für die Bundeswehr.

Die Sprache des Militärs erscheint in der Tat wie ein eigenes Territorium. Wächst man im Dienst automatisch in die Begriffswelt hinein? Oder wie eignet man sie sich an?

In nahezu allen militärischen Bereichen ist Sprache ein wesentlicher Teil der Ausbildung. Ob Struktur von Befehlen, die Kommandos beim Exerzieren, Regeln im Funkverkehr oder auch die schriftlichen Terminologien im Stabsdienst: Das sind nur einige Beispiele für Kommunikation, die so gelernt sein muss, dass sie auch unter Belastung eindeutig verstanden wird. Ich vergleiche das gerne mit der Manöversprache im Segelsport. Dort ist mit „Klar zur Wende“ auch eine konkrete Handlungsanweisung mit definierten Schritten verbunden.

Streitkräfte-Sprache muss sachlich, klar und eindeutig sein, das leuchtet ein. Kennt sie auch Grau- und Zwischentöne?

Die versucht man bewusst zu vermeiden. Denn wofür wird eine Armee ausgebildet? Das ist primär das Gefecht, also der Kampf. Und der fordert eine Sprache, die so unmissverständlich ist, dass sie auch unter Beschuss, in unmittelbarer Gefahr, größtem Lärm und höchster physischer Belastung verstanden wird. Daraufhin ist militärische Sprache optimiert – auch auf die Gefahr hin, dass im zivilen Kommunikationsraum der Mangel an Zwischentönen mitunter irritiert. Bei dieser Informationsarbeit sind wir allerdings nicht im Gefecht, deshalb müssen wir übersetzen. Das fällt manchmal schwer, da die Kameradinnen und Kameraden auch im Bereich Medienarbeit primär im militärischen Sprachgebrauch geschult sind.

Wie stark ist die militärische Sprache noch von Begriffen aus dem Kalten Krieg oder gar dem Zweiten Weltkrieg geprägt?

Anders als oft angenommen, sind die typischerweise als militärische Sprache wahrgenommenen Terminologien oder Kommunikationsformen ganz überwiegend viel älteren Ursprungs, oft reichen sie bis ins Mittelalter oder noch weiter zurück. Meist werden sie aus ideologischen Gründen dem Dritten Reich oder dem Kalten Krieg zugeordnet. Verhältnismäßig wenige, eher metaphorische und nicht offizielle Begriffe wie z.B. „Stalinorgel“ oder „Eiserner Vorhang“ sind im Kontext jüngerer historischer Ereignisse entstanden.

Gibt es Gründe, bestimmte Traditionen sprachlich zu modernisieren?

Sicherlich. Hauptmotivation dürfte die Verständlichkeit sein. Ein Beispiel: Einen Stiefel als „Knobelbecher“ zu bezeichnen, ist für einen jungen Soldaten ohne Kenntnis des historischen Hintergrunds nicht verständlich. Außerdem wollen wir ja als glaubhaft, transparent und offen wahrgenommen werden und nicht als „Kommissköpfe“ mit antiquierter Sprache. Auch ist es dem demokratisch geprägten „Staatsbürger in Uniform“ nicht vermittelbar, Begriffe zu verwenden, die in einem totalitären Kontext entstanden und benutzt wurden. Ansonsten gilt aber auch hier: Verständlichkeit im Gefecht ist die Benchmark. Und da die Bundeswehr ja immer enger im NATO-Kontext eingebunden ist, verlagert sich im Sprachbrauch inzwischen vieles ins Englische.

Wie akzeptiert sind Begriffe wie „Kameradschaft“, „Befehl und Gehorsam“ oder „Gefechtsbereitschaft“ in der Gesellschaft?

Es sind Begriffe, die schon immer zum Wesen und zum Auftrag von Armeen gehörten.

Die aber nicht allen Menschen leicht über die Lippen kommen. Haben wir als Gesellschaft verlernt, über ein Schreckens-Szenario wie Krieg zu sprechen?

Vielleicht haben wir verdrängt, was der Auftrag einer Armee und auch der Bundeswehr ist: unser Land mit der Waffe zu verteidigen und somit in der Lage zu sein, einen Krieg erfolgreich zu führen. „Befehl und Gehorsam“ sind dafür ebenso unabdingbar wie die „Gefechtsbereitschaft“ und in letzter Konsequenz auch das „Töten“ von Menschen. Daran hat sich nichts geändert, wir müssen uns nur wieder etwas deutlicher daran erinnern. Dazu sollten wir solche Vokabeln zurück in unsere Kommunikation holen. Die „Kameradschaft“ dürfte dabei noch der am wenigsten belastete Begriff sein. Auch bei der Polizei, unter Feuerwehrleuten oder Bergsteigern stellt man sich gemeinsam einer Widrigkeit und entwickelt daraus als Gruppe eine intensive Solidarität und Fürsorge. Kameradschaft ist eine der wertvollsten Erfahrungen, die man beim Militär machen kann, sie wirkt positiv weit über die Zeit gemeinsamen Einsatzes hinaus.

Braucht es andere, weniger beschönigende Wörter und Narrative für die außenpolitische Zeitwende?

Ich halte jedenfalls nichts von „sugar coating“, um unangenehme Themen verdaulicher zu machen. Krieg ist brutal und schrecklich. Wer etwas anderes behauptet, erreicht das Kommunikationsziel nicht: nämlich Krieg als etwas darzustellen, das zu verhindern jede Anstrengung lohnt. Eine sensible Grenze bleibt allerdings die zum Alarmismus: Wer übertreibt, verliert seine Zuhörer – übrigens eine Erfahrung, die auch erfahrene Kommunikatoren im Zusammenhang mit allzu drastischen Botschaften zum drohenden Klimawandel gemacht haben.

Wie balanciert man als Bundeswehr-Kommunikator zwischen Transparenz und sicherheitspolitischer Zurückhaltung?

Wie in jedem zivilen Unternehmen auch gibt es Sprachregelungen zu bestimmten Positionen und designierte, besonders fachkundige Sprecher, die sich exklusiv zu speziellen Themen äußern. Die Bundeswehr unterliegt grundsätzlich dem Informationsfreiheitsgesetz, andererseits aber auch sicherheitsrelevanten Beschränkungen. Beides muss in Ausgleich gebracht werden. Und viele Fragen, die an die Bundeswehr gestellt werden, sind in Wirklichkeit politische Fragen – aktuell zum Beispiel die nach der Wehrpflicht. In solchen Fällen verweist die Bundeswehr dann an den zuständigen Adressaten: den Gesetzgeber.

Was macht im Jahr 2025 einen guten Kommunikator, eine gute Kommunikatorin der Bundeswehr aus?

Wer es schafft, im Rahmen des Auftrags und unter Berücksichtigung aller betroffenen Interessen glaubhaft, transparent und wahrhaftig mit der Botschaft verstanden zu werden, macht einen guten Kommunikationsjob. Wenn es dabei auch noch zu einer emotionalen Verbindung über Sympathie, Begeisterung oder Energie kommt: umso besser.

Was kann die militärische von der zivilen Kommunikation lernen?

Die Anpassung von Sprache und Kanälen an einzelne Zielgruppen. Und auch wenn das nicht mein Metier ist: Im Bereich der Werbung kann die Bundeswehr aus meiner Sicht noch ein wenig aufholen.

Frauen dienen seit 50 Jahren, sind aber weiter eine Minderheit in der Truppe. Ist geschlechterausgewogene Sprache ein Thema?

Ist es. In Texten und Reden wird gegendert. Ich bin kein Spezialist auf diesem Feld. Aber als jemand, der die Bundeswehr noch als rein männliche Armee kannte, kann ich sagen: Den Umgang mit den Kameradinnen seit meinem „Wiedereintritt“ erlebe ich als gleichberechtigt und diskriminierungsfrei.

Du bist selbst bei LinkedIn aktiv. Welche Rolle spielt der digitale Raum für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr?

Wie in der zivilen Kommunikation auch hat die Bedeutung des Digitalen für die Informationsarbeit der Bundeswehr in der jüngeren Vergangenheit stark zugenommen. Ich gehe davon aus, dass sich dieser Gleichklang in der Zukunft fortsetzt. Für erfolgreiche Social-Media-Arbeit gibt es viele Beispiele, so etwa die Facebook-Auftritte der Landeskommandos, deren Hamburg-Ableger während der letzten Reservedienstleistung in der Verantwortung meines Teams lag. Mit Plattformen wie TikTok oder Reddit wird dagegen noch gefremdelt, da liegt sicher noch einiges Potenzial.

Verrätst Du uns zum Schluss ein prägendes Kommunikationserlebnis?

Die Bundeswehr, ihre Sprache oder der teils absurde Hang zu Abkürzungen sind bei aller Ernsthaftigkeit ein steter Quell der Freude. Eine Anekdote aus meiner Grundwehrdienstzeit: Damals ging ich, vorschriftswidrig einen Apfel verspeisend, über den Kasernenhof und wurde, natürlich völlig zu Recht und sehr lautstark, von einem Feldwebel zusammengepfiffen: „Soldat! Auf der Straße wird nicht verpflegt!“ Das amüsiert mich bis heute.


 

Christian Gummig

studierte nach seinem Grundwehrdienst Jura und absolvierte parallel die Ausbildung zum Infanterieoffizier. Seine zivile Karriere begann er als Medien-Anwalt und Justiziar. Nach Marketing- und Managementfunktionen bei verschiedenen Medien- und Tech-Unternehmen machte er sich 2011 in Hamburg mit einer Kommunikationsagentur selbstständig. Unter dem Eindruck des Kriegs in der Ukraine suchte Reservist Gummig nach 30 Jahren ohne Uniform 2022 den Kontakt zur Bundeswehr und durchlief dort die Ausbildung zum Presseoffizier. In dieser Funktion war er zuletzt als stellvertretender Sprecher beim Landeskommando Hamburg im Einsatz. Seine militärische „beorderte Heimat“ ist das Operative Führungskommando der Bundeswehr in Berlin, wo er als Public Affairs Officer im dazugehörigen Presse- und Informationszentrum (PIZ) dient.

Foto: Raimar von Wienskowski

Bundeswehr: Organisierter Dialog

Das 2014 gegründete „Zentrum Informationsarbeit Bundeswehr“ ist das zentrale Kompetenzzentrum der Bundeswehr für Presse-, Öffentlichkeits- und Medienarbeit. Die dazugehörigen Bereiche sind auf zwei Standorte verteilt: Am Campus Bundeswehr in Strausberg befinden sich unter anderem die Akademie für Aus- und Weiterbildung des Kommunikationspersonals und die größte militärwissenschaftliche Spezialbibliothek Deutschlands. Die Redaktion der Bundeswehr in Berlin ist das Verlagshaus der Streitkräfte. Am Sitz in der Reinhardtstraße werden an einem Ort alle Ausspielkanäle (Print, Online, Social-Media) der Bundeswehrmedien sowie der internen Kommunikation produziert. Einzelne Bereiche der Bundeswehr unterhalten dezentrale Presse- und Informationszentren (PIZ), die Landeskommandos eigene Pressestellen.

Dieser Beitrag wurde zuerst auf LinkedIn veröffentlicht.


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