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„Herausforderung“ – eine Sprachkritik

Wo immer Kommunikation zu den brisanten Themen unserer Zeit stattfindet, drängt sie sich auf: die „Herausforderung“. Ein Begriff, mit dem Sie nichts falsch machen. Aber auch wenig gewinnen. Denn das Wort ist so blass und überstrapaziert, dass es kaum etwas auslösen dürfte bei denen, die Sie damit erreichen möchten.

Es gibt kein Entrinnen. Die Herausforderung begleitet uns auf Schritt und Tritt. Sie bevölkert Interviews und Ansprachen, besiedelt Social-Media-Statements, Gastbeiträge und Blogartikel. Gerne taucht sie im Plural auf, so auch im Sprachkosmos der Politik. Der Korpus der veröffentlichten Reden von Staatsoberhaupt, Kanzler und Kabinettsmitgliedern des laufenden Jahres weist bis zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Textes schon fast 200 Fundstellen für das Wort auf, wie die Datensätze im Bulletin der Bundesregierung preisgeben.

Mindestens genauso beliebt ist die Herausforderung in den Sphären der Wirtschaft. Die Wendung wird nicht allein dazu benutzt, um ökonomische Schwierigkeiten oder sonstige Widrigkeiten zu verbrämen. Sie ist zugleich zur handlichen Formel für Aufgaben und Notwendigkeiten aller Art geworden. Was immer unternehmerisch bewältigt oder einfach nur getan werden muss, wird sprachlich in den Stand der Herausforderung erhoben. Studieren Sie einen x-beliebigen Führungskräfte-Newsletter, ein Magazin für Mitarbeitende oder eine Vorstands-Keynote: Die Herausforderung wird Ihnen darin mit hoher Wahrscheinlichkeit begegnen.

Farbloses Fahnenwort

Noch dazu beschert die düstere Weltlage dem Wort ein Hoch. Überall Krisen, überall Herausforderungen. In ihrem Social-DAX-Report 2021 hat die Beratungsfirma FTI Consulting betrachtet, wie Unternehmen im Rahmen ihrer Finanzkommunikation auf digitalen Bühnen die Pandemie und ihre Folgen beschreiben. Rund die Hälfte der DAX-Firmen benutzte dafür den erwartbaren Begriff der Herausforderung.

Die Spielarten sind sattsam bekannt. Ob Herausforderungen nun „vor einem liegen“ oder wir „vor ihnen stehen“: Wir „scheuen sie nicht“, wir „stellen uns ihnen“ und „nehmen sie an“. Wer auf LinkedIn oder anderswo einen Jobwechsel verkündet, „freut sich auf die neue berufliche Herausforderung“.

Phrasen wie diese sind massentauglich und risikoarm, sagen sie doch alles und nichts. Wer sie liest oder hört, nimmt beiläufig zur Kenntnis: Hier gibt es irgendein Problem, mit dem umzugehen ist, etwas muss erledigt werden oder Veränderungen stehen an. Wie diese Herausforderungen beschaffen sind, von denen da die Rede ist, bleibt meist im Ungefähren.

Genau daran krankt der Begriff. Er will nichts zumuten, er bietet keine Reibungsfläche, ihm fehlt jegliche Ambition. Herausforderung ist das schlaffe Fahnenwort der Corporate- und Management-Sprachwelt. Matt und ausgefranst dümpelt es vor sich hin im Wind of Change. Ein Grauwort, so farb- und konturlos, dass es sich jedem Kontext fügt, ohne aufzustören.

Steine und Hürden

Ist Herausforderung womöglich deshalb so populär? Vermutlich. Das Wort passt halt irgendwie immer. Und so mogelt es sich in perfekter Unauffälligkeit durch alle textlichen Abstimmungsrunden. Geht es anders und besser? Ja, bestimmt. Aber das verlangt Anstrengung und sprachlichen Ehrgeiz. Die Kunst liegt darin, sich selbst auszutricksen. Sobald wir den Begriff verbannen (oder ihn zumindest rationieren), können wir uns nicht mehr hinter ihm verstecken. Wir sind gezwungen, die Flughöhe des Abstrakten zu verlassen und die Dinge beim Namen zu nennen: Welche Steine liegen im Weg? Was für Hürden türmen sich auf? Worin genau bestehen die Aufgaben, die so fordernd sind?

Probieren Sie es aus. Der Verzicht auf Herausforderung wird Ihnen Formulierungen entlocken, die Sachverhalte anschaulicher und Botschaften lebendiger machen. Das können Sprachbilder sein („unwegsames Gelände“, „schweres Fahrwasser“, „Das Haus brennt lichterloh“) oder auch sinnverwandte Wörter abseits des schalen Organisations-Vokabulars. Warum nicht zur Abwechslung mal von „Bedrängnis“ sprechen, von „Krux“ oder „Dilemma“? Schürfen Sie, unser Wortschatz ist reich an Gegenangeboten zur ausgeleierten, nichtssagenden Parole der Herausforderung. Ach ja, und bitte ersparen Sie uns den Gag – Challenge ist keine Lösung.


Foto: Birmingham Museums Trust (licensed under CC0) – Rough Weather, Dutch and English Fishing Boats, Samuel Owen (1805) 

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